Montag, 04. November 2002
20.00 Uhr
Zeughaus am Turm
Vladimir Vertlib
Das besondere Gedächtnis der Rosa Masur
„Du
siehst“, erklärte Rosa ihrer Freundin Mascha, „man kann diesen Leuten alles
einreden. Sie haben nicht den scharfen Blick, weil sie nie in die Dunkelheit
geschaut haben, durch die wir uns oft im Leben tasten müssen, wenn wir nicht
einfach die Augen schließen und drauflosgehen. Diese Leute haben es noch nie
ausgehalten, ihre Augen lange offen zu halten, und warum sollte ich diesen
Umstand nicht ausnützen?“
Über neunzig Jahre alt ist Rosa Masur, als
sie in Gesprächen für ein Jubiläumsbuch aus ihrem Leben erzählt. Erst vor
eingen Monaten ist sie mit ihrem Sohn und ihrer Schwiegertochter aus Russland
ausgewandert und lebt nun in der deutschen Stadt Gigricht. Rosa erinnert sich an
ihre Kindheit im Städtl Witschi, an Pogrome, den politischen Terror, den
Zweiten Weltkrieg und Stalins Judenverfolgungen.
Vladimir Vertlib erzählt spannend und mit
viel Ironie von Luftmenschen und Schmugglern, Menschenfressern und Hexen,
Antisemiten und Bürokraten. Offen bleibt, was Erinnerung in Rosas Geschichten
ist. Rosa Masur hat ein „besonderes Gedächtnis“.
Vladimir
Vertlib, geboren 1966 in Leningrad, emigrierte 1971 mit seiner Familie
nach Israel, von 1972 bis 1980 „Odyssee“ durch Europa, Israel und
die USA, seit 1981 in Österreich. Studium der Volkswirtschaftslehre in
Wien, lebt seit 1993 als freier Schriftsteller, Sozialwissenschafter und
Übersetzer in Salzburg und Wien. |